Bewegungsformen sind meist Naturformen, also organische gewachsene Formen. Sie entstehen beim Wachstum der belebten Materie und ihr Wachstums- und Bewegungsrhythmus prägt ihr äußeres Erscheinungsbild. Es sind meist Formgefüge, deren Wirkung und Ausdruck durch die einzelnen Formenelemente und deren Stellung zueinander und zum Raum geprägt werden.
Neben dem tatsächlichen Erscheinungsbild entsteht durch Wuchskraft und Bewegung eine optische Kraft, die über die tatsächliche Ausdehnung der Naturform wirkt. Die Bewegungsformen und deren Beurteilung darf nicht mit den Geltungsformen verwechselt werden. Bei der Einteilung des Geltungsanspruchs spielen das Wesen und der Charakter eine größere Rolle. Faktoren wie Farbe, Struktur und vor allem das Erscheinungsbild in der Natur prägen neben der Form und dem Bewegungsrhythmus den Geltungsanspruch der Einzelform. Als Beispiel seien hier Muscari genannt, eine Naturform, die nur in der Summierung zur Wirkung kommt und somit geringer Geltung einzuordnen ist. Als Bewegungsform steht sie jedoch als aufstrebend aktive Form mit Delphinium, Eremurus,Knifofie usw. auf einer Stufe.
In der Floristik teilen wir die Bewegungsformen oft in zwei Gruppen, die Aktiven und die Passiven, ein. Diese Einteilung soll hier der gemeinsamen Fachsprache wegen beibehalten werden, jedoch im Einzelnen nicht ohne kritische Betrachtung bleiben. Im Gegensatz zu den aktiv – aufstrebenden, alle abfließenden Bewegungen als passiv zu bezeichnen mag zwar als Grundlagenwissen gut, aber im konkreten Vergleich nicht immer zutreffend und richtig sein. So kann eine Nelke, aufstrebend mit rundem Endpunkt, passiver wirken als ein spannungsreich abfließender Trieb des Efeus. Auch eine Paeonie oder Hortensie in ihrer Gesamterscheinung wirkt wahrscheinlich passiver als die Ranke der Columnea hirta. Auch die spielenden Formen wie z.B. der Stephanotis zeigen teilweise wenig Aktivität und sind nur bedingt den aktiven Wachstumsrhythmen zuzuordnen. Die nachfolgende Einteilung zeigt typische Beispiele und bildet eine Beurteilungsgrundlage. Die Natur in ihrer grenzenlosen Vielfalt bietet endlos viele Zwischenformen.
Bewegungsformen
- aufstrebend
- aufstrebend ausschwingend
- aufstrebend entfaltend
- aufstrebend mit rundem Endpunkt
- spielend
- brüchig
- lagernd
- abfließend
- Wachstumsrhythmus prägt ihr Erscheinungsbild !
- bei vegetativer Gestaltung totale Beachtung !!!
– aufstrebend
Die aufstrebenden Bewegungsformen wachsen relative senkrecht und gradlinig. Sie wirken dadurch stark, zielstrebig und aktiv. Ihr Endpunkt ist meist eine Spitze und ihre Ausstrahlung setzt sich weit über diese hinaus fort. Daher benötigen sie viel Freiraum und vertragen in der vegetativen Gestaltung keine anderen Formen über sich. Delphinium, Eremurus, Typha, Digitalis z.B. sind typische Werkstoffe, die aufstrebend aktiv und damit vom Bewegungslauf dynamisch, fast endlos wirken.
– aufstrebend „ausschwingend“
Werkstoffe mit ausschwingender Bewegung wirken nicht so kraftvoll und aktiv. Dafür geht von ihrem Schwung im Bewegungslauf Eleganz aus. Ihre Wirkung ist weich, sanft und entspannt. Viele Gräser, Freesien, Montbrecien, Euphorbia fulgens, Phalaenopsis und ähnliche Werkstoffe sind aufstrebend – ausschwingend, meist mit einer spitze endend. Ihre vom Wachstumsrhythmus geprägte Form braucht, entsprechend ihrer Bewegungsrichtung seitlich oder nach unten mehr Freiraum.
– aufstrebend “entfaltend”
Auch aufstrebende Entfaltungsformen genannt benötigen sie Freiraum, neben unter als auch über sich. Für Iris, Nerine und Amaryllis z.B., die allseitig entfaltet sind, trifft dies auf alle Fälle zu. Einseitig sich entfaltende Formen wie z.B. Paphiopledium und Narcissen benötigen weniger Platz über sich als neben oder unter sich. Weitere typische Beispiele für aufstrebende – entfaltende Bewegungsformen sind Lilien, Strelizien, Anthurien, Eucharis und Heracleum.
– aufstrebend „mit rundem Endpunkt“
– spielende
In weichen Bewegungen ihre Richtung ständig ändern, wirken spielende Bewegungsformen mehr oder weniger aufstrebend. So hat z.B. das Erscheinungsbild der Korkenzieherweide einen stark aufstrebenden Charakter, während z.B. die rankenden Arten der Hoya, Stephanotis, Wicke und Gloriosa teilweise kaum aufstrebende Tendenzen zeigen. Spielende Bewegungsformen können im Werkstück in vielerlei Richtungen angeordnet werden, wenn eventuell vorhandene Blüten und Blätter, von ihrer Stellung her, dies erlauben. Summierung und Reduzierung gleichermaßen bringen den Bewegungsrhythmus dieser Formen voll zur Wirkung.
– brüchige
Hier sind es meist die Altersformen der Schlehe oder der Bougainvillea, die harte, abrupte und teilweise willkürliche Änderung der Bewegungsrichtung zeigen. Sie wirken durch den ständigen Wechsel der Richtung kantig und brüchig. Trotz ihrer vielen Bewegungsrichtungen und keiner dominanten Richtungsdynamik, ist die Gesamttendenz des Aufstrebens meist noch erkennbar. Von der senkrechten, bis hin zur waagerechten Positionierung ist gestalterisch alles möglich. Sie fordern ruhige, gleichflächige Formen als Kontrast und zur Harmoniebildung.
– lagernde
Diese Bewegungsform steht für Passivität. Moose, Echeverien, Selaginella, verschiedene Kakteen und Primelsorten sind es beispielsweise, von denen kaum oder gar keine Bewegung ausgeht. Von ihrer Gliederung her sind sie entweder lagernd, sammelnd oder entwickelnd über ihren Umriss hinaus eine leicht strahlende Kraft. Sie wirken im Vergleich zu allen anderen Formen lastend, schwer, ruhend, teilweise statisch und somit passiv. Meist im Basisbereich angeordnet sind sie die sammelnde Kraft im Werkstück und bilden hier Formkontraste zu allen andern Werkstoffen.
– abfließende
Von ihrer Richtung her wirken die abfließenden Be-wegungsformen passiv, was durch den ersten Eindruck des Hängens mitgeprägt wird. Sie wachsen jedoch teilweise nur scheinbar nach unten, um Kraft zu sammeln und dann wieder nach oben zu streben. Hedera helix oder Ficus pumila sind typisch für dieses Wechselspiel, was ihnen unter anderen auch den verbindenden Charakter zwischen Werkstück und Gefäß und zum Standort gibt. Abfließende Formen ohne aufstrebenden Endpunkt sind Ceropegia und Senecio. Sie wirken je nach Kombination mit anderen Werkstoffen mehr oder weniger passiv.